Auszüge einer Rede zur Ausstellung des Malers Martin Franke in München in der Galerie HimmelundHimmel, 2016

Dr. Rainald Raabe, Kunstgeschichte LMU München





Der erste Blick auf die hier präsentierten Gemälde signalisiert dem Betrachter: Chaos.
Da malt also jemand, dem sämtliche Hunde von der Leine gelassen sind, ungezügelt, spontan, mit unterschiedlichen Malmaterialien in unterschiedlichen Techniken wild durcheinander. Zu allem Überfluss der Formen und Farben kommen dann auch noch seltsame Titel.

Es geht darum, die Struktur der Bilder herauszuarbeiten, zunächst das, was alle Werke hier gemeinsam auszeichnet und sie damit auch verbindet. In einem weiteren Schritt lassen sich dann exemplarisch an einzelnen Bildern, die ihnen innewohnenden Strukturen bestimmen. Mit diesem Vorgehen ist nicht gesagt, dass alle Bilder schematisch nach einem Bauprinzip strukturiert seien – kubistische Bilder beispielsweise, egal ob aus der analytischen oder der synthetischen Phase des Kubismus, weisen ja auch alle die ihnen innewohnenden Strukturen auf eben die kubistischen, ohne dass deshalb die Bilder alle schematisch aufgebaut wären oder gar gleich aussähen.

 

Soviel zum Vorgehen bei der Einführung in die Malerei von Martin Franke.

Der Maler arbeitet Figurativ: Auf allen Bildern sind entweder ganze menschliche Figuren oder Teile von ihnen abgebildet, und das in der Regel formatfüllend. Meistens sind die Figuren nackt, aber sie sind nie gleichmäßig durchgemalt; mal sind die Umrisse konturiert, mal verwaschen, mal verschwinden Körperteile scheinbar abgeschnitten in der Umgebung (wie der Hinterkopf des Mannes auf 'accident in paradise' oder sein linker Arm, oder etwa die rechte Hand der Frau neben ihm. Niemals sind diese Figuren ausgemalt im Sinne von fertig realistisch dargestellt, sie haben immer etwas Skizzenhaftes in Inkarnat (also der Hautfarbe), in den Volumina oder den Gesichtern.

 

Solche, die einzelnen Bilder jeweils dominierenden Figuren, (die man möchte fast sagen, -natürlich -von Bild zu Bild ganz unterschiedlich gemacht sind,) agieren auf der Bildfläche. - Schon wird man stutzig: Bildfläche ?
Eigentlich agieren Figuren im Raum oder bei einem Bild eben im Illusionsraum, dem auf der Fläche perspektivisch dargestellten Bildraum. Bis zu einem gewissen Grad tun dies auch die Figuren bei Franke, aber dann entdeckt man Merkwürdiges: Der Illusionsraum verwandelt sich beim Betrachen weiterer Teile des Bildes in etwas anderes: In eine Fläche mit neuem Inhalt, in eine andere Art Illusionsraum oder in beides: Nehmen Sie beispielsweise 'accident in paradiese': Im unteren Bilddrittel hocken zwei nackte Menschen, Mann und Frau, im Freien auf einer Wiese in einer Art Parklandschaft. Doch aus dem von unten nach oben gesehenen blauen Himmel, der die Landschaft oben abzuschließen scheint, wird Wasser, auf dem zwei kleine Figuren (Mann und Frau) auf so weißen Stücken zu treiben oder zu surfen scheinen. Die sind umgeben von rosa, weiß gelben Objekten, die alle schräg gezeigt sind und sowohl eine Richtung von rechts oben nach links unten anzugehen scheinen, als auch zunächst nicht identifizierbar sind. Erst wenn der Blick ganz nach oben geht, wird die Ähnlichkeit zu den Sahnetortenstücken rosa rechts und hellblau links evident. Diese Sahnetorten sind aber auf ihren papierenen Spitzendecken fast komplett in Aufsicht

gezeigt.

Die Blaue Himmel-Wasser-Fläche ist am oberen Bildrand hochgeklappt und nicht mehr perspektivisch gegeben, sondern in Aufsicht.
Damit aber sind wir bei einem entscheidenden Punkt: Wie sind diese Bilder zu lesen? Gibt es überhaupt eine Leserichtung oder wechselt sie? Am Beispiel 'accident in paradise' wechselt sie: Das Bild ist von unten nach oben zu lesen und wieder zurück: Erst dann bekommen die drei Zonen, in die das Bild unterteilt ist, ihren Zusammenhang. Aber von allein erklären sich die rosa/gelb/blauweißen Stücke, die so geschwinde durch das Bild rauschen nicht. Es mag hier ein Zitat vorliegen: Wasser, das nicht nur blau sondern auch Grün- und Weißtöne enthält, und auf dem etwas schwimmt erinnert stark an an die Nympheas, die Seerosenbilder von Monet. Da ist allerdings keine Bewegung drin. Die kommt erst aus der Interpretation eines jungen Wilden aus den frühen 80ern des letzten Jahrhunderts dazu. Salome persifliert Monet mit seinem 'Kampf im Seerosenteich', indem der einige Schwimmer durch das idyllische Wasser kraulen ließ. Hier sind es nun vielleicht selbstbewegte Tortenstücke und zwei auf denselben Spitzendecken wie die Resttorte oben surfenden Menschen, die unversehens im Himmel landen – oder schweben sie doch schon auf kleinen Wolken? Die Darstellung lässt viele Deutungen zu, die Assoziationen bewegen sich aber sowohl bei Monet als auch bei der dargestellten Parklandschaft hier immer um Idylle, um Arkadien im weitesten Sinn, und – der Titel lässt es vermuten bei dem Paar dürfte es sich um Adam und Eva handeln.

Soweit zum Lese- und Interpretationsansatz eines Bildes.

Martin Franke macht in seinen Bildern – natürlich – keine feststehenden Aussagen, und so sind die bisweilen zunächst höchst rätselhaft erscheinenden Bildtitel auch nicht als Aussage zu verstehen, deren Sinn durch die Bilder lediglich illustriert wird. Das Verhältnis von Wort und Bild manchmal auch das Verhältnis von Schrift und Bild ist immer schwierig.

Dies kann man am Beispiel von 'Alpha, wen hast du lieb' verdeutlichen: Eine Frage als Bildtitel. Und im Bild selbst erscheinen immer wieder große Buchstaben, teils kryptisch, oder aneinandergereihte Wörter, unterbrochen von Zeichen und Symbolen, die wie die Wörter nicht eindeutig zu lesen sind. Worauf bezieht sich der Titel im Bild: Wer ist Alpha?
Am oberen Bildrand sind in dünnen schwarzen Strichen teils kryptisch die Buchstaben a l p h a zu lesen. Vermutlich wird es sich um einen Säugling handeln, der mehr als die Hälfte der Bildfläche für sich beansprucht. Ein echtes heranwachsendes Alphatier mit nicht unbedingt liebenswertem Blick: Auf der rechten Seite des Bildes rote Dielenbretter in extremer Aufsicht auf denen sich 3 Figuren fast ganz von oben gesehen zu unterhalten scheinen. Auf der anderen Seite spielen in der Ferne einige Leute auf dem Rasen Volleyball. Die beiden Teile sind mal wieder nicht in einen einheitlichen Raum zu bringen, und im rechten unteren Eck des Bildes fällt ein Schnuller zu Boden.

Der Schnuller ist ein rekurrentes Motiv in vielen Bildern Frankes. ( Die Unmöglichkeit der Selbstentselbstung...; Dream a little dream... ) hier ist es aber wohlbegründet – er ist dem Säugling verloren gegangen. Dieser junge Mann ist nicht verzweifelt, sondern zornig und empört, vermutlich weil ihm etwas abhanden kam, und er ist auch nicht zu trösten durch seine gewichtslose Mutter, die ihn – viel zu klein und aus der Proportion nur durch weiße Linien dargestellt ist. Das Baby als Monster, und in der Bildmitte auf dem rechten Arm der Mutter ist zu lesen:
Ontologischer Zwerg (ontologischer Zweig).

Wir könnten den ganzen Abend weiter auf die Suche nach beinahe unendlichen Bezügen auf den Bildern Martin Frankes gehen. Fläche und Illusionsraum, Konturen, Farbflecken, und diverse Schriftarten und Beschriftungen schaffen einen Kosmos von Bezügen, die sich immer mit den unterschiedlichen Aspekten menschlichen Seins in der Gesellschaft beschäftigen, aber keineswegs immer eindeutig sind. Das Leiden und der Zweifel an der Gesellschaft prägen diese Malerei.